Auf meinem Balkon hat sich eine Blume ausgewildert. Sie kommt vom Balkonkasten darüber und hat es sich in dem schmalen Streifen Erde zwischen Steinplatten und Umrandung eingerichtet. Genauso wie der Thymian. Der kommt aus einem Topf ganz vom anderen Ende des Balkons. Sie scheinen es an diesem Fleckchen gut zu haben. Im Frühling hatte ich diese Pflanzen natürlich gerne in den Kasten gesetzt, sie haben den ganzen Sommer über geblüht. Dafür habe ich sie auch fleißig und biologisch gedüngt. Die verblühten Knospen habe ich regelmäßig abgeknipst. Ich habe auch auf die anderen Balkonpflanzen geachtet und war stolz über die Rose, die in diesem Jahr sehr viele Blüten hatte. Die Freuden einer Balkongärtnerin! Aber über diese Blüte - und es ist nicht die erste aus diesem Pflänzchen da am Boden - freue ich mich fast noch mehr.

Sie kam so von alleine und steht da ganz alleine. Wer am Balkon vorbeigeht, kann sie kaum sehen. Sie schaut mich an, freundlich und strahlend. Wie eine Novemberbotschaft.

"Schau her, ich blühe. Und du hast gar nichts dafür gemacht. Ich bin wie die Lilie auf dem Feld, die sich im Wachsen entfaltet. Ich mühe mich nicht ab und spinne kein Kleid." Diese Worte aus der Bergpredigt (Matthäus 6, 28) scheint sie mir zu sagen. Stimmt, ich habe nichts zu ihrer Blüte beigetragen, und sie hat sich auch nicht sonderlich abgemüht. Aber sie scheint ihr Dasein so sehr zu genießen, und ich erst.

Also gut, ich ahne die Botschaft. Da blüht mir was, einfach so, ohne große Anstrengung, ohne mein Zutun. Immer wieder blüht mir was, vieles davon kriege ich vielleicht gar nicht mit. Die unerwarteten Ereignisse, die überraschenden Begebenheiten, die unvorhersehbaren Begegnungen - was das Leben eben so zum Leuchten bringt. Weil es einem zuzufallen scheint, von weither und von ganz nah.

Wie sehr ich wünsche, dass anderen auch solche Blumen blühen!